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Gemeinsam einsam
<h1>Gemeinsam einsam</h1>
<h3>Fjodor & Darja | 7.4. | nachmittags | Haus der Romanows</h3>
Manchmal fühlte sich Darja, als könne sie nicht viel mehr ertragen. Als wäre das hier das Limit. Ein Überschreiten hätte auf jeden Fall den Tod zur Folge. Wobei sie noch nicht einmal wusste, ob sie diesen letzten Weg fürchten oder ihn stattdessen besser freudig erwarten sollte. Damals, während ihrer Ehe, hatte sie unbedingt leben wollen, hatte dafür bis zum Äußersten gekämpft, um sich gegen ihren übermächtigen Mann zu behaupten. Hatte am Ende sogar die Scheidung beantragt, in dem Wissen, dass sie ihre Töchter deshalb vielleicht nie wieder sehen würde. War es nicht besser, eine Mutter zu haben, die einen trotz des nicht vorhandenen Kontakts liebte, als eine, die kalt und starr unter der Erde lag? Mittlerweile war sie sich da nicht mehr so sicher. Natürlich hatte sie gewusst, dass manch einer ihre Entscheidung nicht verstehen würde. Bis dass der Tod uns scheidet. Das war in ihren Augen keine leere Floskel, sondern eisernes Gesetz, selbst wenn der eigene Mann diesem Ultimatum nur zu gerne nachhalf, indem er seine Frau bis fast zur Bewusstlosigkeit und darüber hinaus prügelte.
Mit der geballten Ablehnung, die ihr seit ihrer Rückkehr nach Moskau entgegenschlug, hatte sie aber tatsächlich nicht gerechnet. Man tuschelte hinter ihrem Rücken, mied ihren Blick – manche gingen sogar so weit, die Straßenseite zu wechseln, wenn sie ihrer gewahr wurden. Zumindest die höhergestellten Schichten Moskaus, denn der einfachen Bevölkerung sagte ihr Name vermutlich nicht so viel. Konnte denn niemand verstehen, warum sie so gehandelt hatte? Konnte eine der Frauen, die sich heutzutage das Maul über sie zerrissen, mit hundertprozentiger Gewissheit sagen, dass sie ihr gnadenloses Schicksal bis zum bitteren Ende ertragen hätte ohne sich zu wehren? Wohl kaum. Fakt war aber wohl, dass die Familien dieser Frauen über ein sehr viel größeres Vermögen verfügten als ihre eigene. Dafür hatte ihr Onkel und Vormund gesorgt, der seine treuhänderische Funktion nie besonders ernst genommen und das Geld, das der Familie seines verstorbenen Bruders zustand, sorglos verjubelt hatte. Reichtum und Macht beeinflusste die Ansichten der Gesellschaft ungemein, das hatte sie zu ihrem Leidwesen schon zur Genüge feststellen müssen. Wäre sie vermögend gewesen hätte man vielleicht immer noch hinter ihrem Rücken getuschelt, aber man hätte ihr gegenüber wenigstens so getan, als wenn nichts wäre. Wohlmöglich hätte man ihr gegenüber sogar geheucheltes Mitleid bekundet.
Doch dem war nicht so und deshalb saß Darja nun hier am Esszimmertisch, allein. Ihre pflegebedürftige Mutter lag in ihrem Bett und hielt ein Schläfchen und das einzige verbliebene Dienstmädchen der Romanows hatte an diesem Nachmittag frei. Sie wusste nichts mit sich anzufangen, stützte ihren Kopf mit den Händen ab und blickte sich dabei im Raum um. Trostlosigkeit und Verfall, wohin man nur schaute und keine Möglichkeit dies aufzuhalten. Es war zum Verzweifeln. Und sicherlich würde ihre Mutter auch bald schon wieder aufwachen und nach ihr rufen. Dann würde sie auch wieder ihre Vorwürfe gegen ihre Tochter zur Sprache bringen. Denn so traurig es war, so hatte auch Piotra Romanowa kein gutes Wort mehr für Darja übrig und aufgenommen hatte sie sie ja sowieso auch nur, damit die Leute nicht noch mehr redeten, als sie es eh schon taten. Doch wahrscheinlich musste Darja ihr dafür sogar noch dankbar sein.
Der verführerische Duft des geräucherten Specks wog stark an Fjodors Nase vorbei, als er seinen Schimmel, sein derzeit einziges, wertvolles Hab und Gut, zum Stehen durchparierte. Er freute sich darauf, ihn bald aus der Satteltasche heben zu können, um ihn seiner Mutter und seiner Schwester zu überreichen. Sozusagen als Präsent, als Stimmungsaufheller in dieser nicht gerade leichten Zeit. Nicht, dass der Speck mit Gold überzogen wäre, doch war er von so vortrefflicher Qualität, dass man ihn sich gerne auf der Zunge zergehen ließ und ihn genoss und für einen Moment so tat, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, ihn verköstigen zu können.
Fjodor sprang behende von seinem Hengst und führte die Zügel seinen Hals entlang. Er band ihm vor dem Herrenhaus fest, damit er nicht entwischen konnte und holte den Speck, der in ein Leinentuch gewickelt war, aus der Satteltasche. Dann sah sich der junge Offizier nach allen Seiten um. Er war vorsichtig, wenn es darum ging, seinen Schimmel irgendwo abzustellen. Er hatte nicht das Vertrauen, dass er ihm, selbst in dieser noch besseren Wohngegend, nicht gestohlen wurde. Doch da ihm nichts anderes übrig blieb (seine Mutter hätte es ihm sicher nicht erlaubt, das Pferd mit ihns Haus zu nehmen), trat er schließlich allein über die Schwelle.
„Guten Taaag“, rief er ausgelassen in das leere Entrée, als wäre er gerade erst 15 Jahre alt geworden und daher für seine jugendliche Leichtigkeit berühmt. Dass sich seine Mutter zu Bett begeben haben könnte, daran dachte Fjodor nicht. Er war es nämlich gewohnt, ebenso herzlich empfangen zu werden, wie er sein ehemaliges Zuhause betrat. Mit forschen Schritten durchquerte Fjodor die Räume, kam ins Esszimmer und sah dort seine Schwester am Tisch sitzen.
Bei Darjas Anblick wollte ihm immer noch das Herz in der Brust zerspringen und er biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe. Was sie durchgemacht haben musste und immer noch tat, war unvorstellbar. Ihr Mann war ein Monster gewesen. Man sah es mittlerweile nicht mehr gern, dass Männer ihre Frauen züchtigten, doch wurde es nicht als Straftat angezeigt, falls doch. Was aber dieses Ekelpaket mit seiner lieben Darja angestellt haben musste, wollte sich Fjodor nur in seinen betrunkensten Momenten ausmalen, wenn die Erinnerung daran am nächsten Morgen schon wieder verblasst war.
Und dass seine Nichten immer noch der Willkür dieses Scheusals ausgesetzt waren, ließ den jungen Offizier manchmal fast verrückt werden. Wie also mochte es erst Darja ergehen? Was musste erst in ihr vorgehen?
Er seufzte kurz und ging zu ihr, legte ihr eine Hand auf die Schulter und küsste sie auf die Wange. „Dascha“, sagte er zur Begrüßung, ehe er sich von ihr löste und sich auf den Stuhl neben sie setzte. Dass sie einfach nur so dagesessen war, kein Buch oder keinen Tee vor sich, gefiel Fjodor nicht. Er wusste, dass sie wieder über all das nachgedacht hatte. Gegrübelt und gebort und gelitten.
„Ich habe etwas für euch. Schläft Mutter?“, fragte er sie sanft und ersparte sich beiden die Frage nach ihrem Wohlergehen. Denn dass es damit nicht zum Besten stand, sah selbst ein Blinder.
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